Gastkommentar im STANDARD zum Thema Religionsunterricht:
Religion braucht Bildung – Bildung braucht Religion
Der Religionsunterricht stärkt die Demokratie – er zwingt die Gemeinschaften aber auch, sich einer aufgeklärten Gesellschaft zu erklären. Ihn außerhalb der Schule anzusiedeln könnte gefährlich sein.
Der Religionsunterricht trägt „zur Bildung einer respektvollen, toleranten und verantwortungsbewussten Gemeinschaft“ bei, schreiben der evangelische Bischof Michael Chalupka und Kirchenrätin Kim Kallinger in ihrem Gastkommentar.
Sorgen über radikale Tendenzen und einen aggressiven politischen Islam, „der neben sich keine andere Religion duldet“, macht sich Michael Völker in seinem Kommentar „Stoppt den Religionsunterricht an Schulen“. Er ist sich sicher: „Religionsunterricht, unterteilt in katholisch, protestantisch, orthodox und islamisch, ist mit Sicherheit keine Lösung, die uns weiterbringt.“ Das scheint ihm so gewiss, dass er es auch nicht weiter begründen muss.
Das Gegenteil ist richtig. Schon seine Analyse macht deutlich, dass ein Merkmal unserer modernen Gesellschaft wohl nicht die Abwesenheit von Religion, sondern eher eine wachsende religiöse Pluralität ist – auch in der Schule. Dass Leben in einer Demokratie gelingt, ist Aufgabe aller Beteiligten und somit auch Aufgabe der Religionsgemeinschaften. Gerade der konfessionelle Religionsunterricht bedingt eine Anerkennung anderer Religionen und bietet ein interreligiöses Lernfeld. Denn nur wer über seine eigene Prägung Bescheid weiß, kann in Dialog treten.
Demokratie und Menschenrechte stärker in der Schule zu verankern ist begrüßenswert. Das von den Neos angedachte Unterrichtsfach „Leben in einer Demokratie“ verdient eine Diskussion, hat mit der religiösen Herkunft und seiner Reflexion im Religionsunterricht aber wenig zu tun. Den Religionsunterricht als Anlass für diesen Vorschlag zu nehmen unterstellt, dass dort kein Beitrag zum Demokratieverständnis geleistet wird, und unterstellt zudem implizit, dass Menschen ohne Religion automatisch eine demokratischere Gesinnung hätten. Wer allerdings religiöse Bildung ins Private zurückdrängen will, trägt zum Obskurantismus und zum Missbrauch von Religion und damit gerade zur Radikalisierung unter dem Deckmantel der Religionen bei.
Kompetenzen und Werte
Fundamentalisten aller Religionen und Weltanschauungen zeichnen sich gerade nicht durch eine vertiefte Reflexion und Kenntnis ihres Gegenstands aus. Die Verbindung zwischen Demokratie, Bildung und Religion sichtbar zu machen ist vor dem Hintergrund der Erosion demokratischer Werte unumgänglich. Daher spielt der Religionsunterricht eine wichtige Rolle in der Stärkung der Demokratie, indem er Lernenden grundlegende Kompetenzen und Werte vermittelt, die für den Zusammenhalt in einer demokratischen Gesellschaft unerlässlich sind.
Der Religionsunterricht hat Teil am allgemeinen Bildungsziel der Schule und leistet einen grundlegenden Beitrag zur religiös-ethischen Bildungsdimension der Schule, indem er die Schülerinnen und Schüler in ihrer Suche nach Sinn unter den Bedingungen der Pluralität unterstützt. Die Lernenden erproben ihre Fähigkeit zur Verständigung und Toleranz und üben sich in Solidarität. Der Unterricht bestärkt sie im Sinne der Inklusion, sich und andere anzunehmen.
Der Religionsunterricht nimmt als Pflichtfach die religiöse und ethische Dimension des umfassenden Bildungsauftrags der Schule wahr und bietet den Schülerinnen und Schülern eine Begegnung mit dem Bildungsauftrag der Gesellschaft in einem gegenseitigen Dialog. Daher ist er auch Ausdruck der Religionsfreiheit, denn Religionsfreiheit heißt, seine Religion im öffentlichen Raum ausüben zu können und dadurch auch dialogfähig zu sein, um die eigenen Überzeugungen in einer pluralistischen Gesellschaft argumentieren zu können.
Umfassend und praxisnahe
Die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung der Religionslehrkräfte ist essenziell für die Effektivität und den Erfolg des Unterrichts. Der Religionsunterricht unterliegt der staatlichen Schulaufsicht. Die Ausbildung der Religionslehrkräfte geschieht an öffentlichen Hochschulen. Innerhalb des Lehramtsstudiums für die Primarstufe kann an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems der Schwerpunkt Religion in all seinen diversen konfessionellen Ausprägungen ausgewählt werden. Damit erwerben die Absolvierenden zwei Lehrbefähigungen. Sie sind Primarstufenlehrkräfte und können darüber hinaus in der Volksschule Religion unterrichten. Mit dieser Kombination erhalten sie auf der einen Seite eine umfassende und praxisnahe pädagogische Ausbildung für die Volksschule, und auf der anderen Seite setzten sie sich mit theologischen, religionspädagogischen und ethischen Fragestellungen auseinander.
Der Religionsunterricht zwingt die Religionsgemeinschaften, sich einer aufgeklärten Gesellschaft zu erklären, und trägt dadurch wesentlich zur Bildung einer respektvollen, toleranten und verantwortungsbewussten Gemeinschaft bei. Der Traum, dass eine religionslose Bildung zu mehr Demokratie führen würde, könnte zu einem bösen Erwachen führen.
(Michael Chalupka, Kim Kallinger, 17.6.2024)