Wallfahrtsmesse vom 30.09.2020

Hier können Sie die Predigt anlässlich der Wallfahrtsmesse am 30.09.2020 in Götzens, gehalten von P. Christian Marté SJ, Rektor des Jesuitenkollegs und der Jesuitenkirche nachlesen: 

 

Mt 10,28-33 (2Tim1,13-14; 2,1-3)
September 2020 – Pfarrkirche Götzens – Sel. Otto Neururer

„Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“
Otto Neururer hat sich vor den Menschen zu Jesus bekannt – und so möchte ich heute zur Frage des öffentlichen Bekenntnisses predigen. Und zwar in drei Punkten, wie Sie das von einem Jesuiten erwarten dürfen:
Dankbarkeit – Achtsamkeit – Vertrauen.
I. Dankbarkeit ist mein erster Punkt.
Dankbarkeit an Pfarrer Otto Neururer, dass er sich in der Nazi-Zeit zu Jesus bekannt hat, zur Heiligkeit der Ehe und zu seiner Aufgabe als Priester, sogar im KZ. Dankbar sind wir auch allen, die Otto Neururer damals unterstützt haben: hier in Götzens, in Innsbruck, in den KZs Dachau und Buchenwald. Immer wieder haben sich mutige Menschen bei der Gestapo und beim Gauleiter für die Freilassung von Otto Neururer eingesetzt – bis die Todesmeldung gekommen ist, und dann die Urne mit seiner Asche. Beim Lesen über Otto Neururer habe ich mich gefragt: Sind wir eigentlich Otto Neururer etwas schuldig? Wir, die wir damals nicht gelebt haben? Ja, wir sind ihm etwas schuldig – so wie allen Opfern: das Erinnern. Sein fürchterliches Leiden war nicht vergebens. Darum ist es wichtig, dass wir uns erinnern: mit diesem Gottesdienst, mit einer guten Ausstellung, mit Büchern und Filmen. Wer meint, „dass jetzt endlich einmal Schluss sein muss“, der tut den Opfern noch einmal weh und gibt den Tätern nachträglich recht. Dafür soll man sich schämen. Wir sind dankbar für die vielen Zeuginnen und Zeugen des christlichen Glaubens hier in Tirol während der Nazi-Zeit: für Provikar Carl Lampert, für Sr. Angela Autsch vom Trinitarierinnen-Kloster in Mötz, Krankenschwester im KZ Auschwitz, für Pater Jakob Gapp aus Wattens, für Josef Mayr-Nusser aus Bozen, für Pater Franz Reinisch, der in Innsbruck studiert hat – und für den Pfarrer von Götzens, Otto Neururer.
Der heilige Ignatius rät, dass wir in Exerzitien Heiligenbiographien lesen sollen. Wir lernen vom Leben anderer. Wir schauen, wie Otto Neururer gelebt hat. Was war ihm wichtig? Wie hat er gedacht? Wofür war er dankbar? Und ganz automatisch vergleichen wir die Biographien von Heiligen mit unseren eigenen: Was ist mir wichtig?Wie denke ich? Wofür bin ich dankbar? Mir sind Franz und Franziska Jägerstätter wichtig geworden und Dietrich Bonhoeffer. Ihre Lebensgeschichten stärken mich.
Als Jesuit bin ich dankbar, weil ich beim Studium über Otto Neururer gemerkt habe, wie viel er mit uns Jesuiten zu tun hatte. Auf seinem Primizbild ist das Hingabe-Gebet des Ignatius abgedruckt, mein tägliches Morgengebet. 1933 hat er aus Innsbruck die Patres Maaß und Schwingshackl zur Volksmission hier nach Götzens geholt. Am Zenzenhof hat er Exerzitien organisiert, 1934, 1936 und 1937. Sein Beichtvater war Pater Gatterer, der ihn noch im Innsbrucker Gestapo-Gefängnis besucht hat. Und auch im Seligsprechungsprozess waren zwei Mitbrüder beteiligt: P. Mühlsteiger hier in Innsbruck und P. Gumpel in Rom. Wir können miteinander dankbar sein für seine starke Botschaft der Liebe. Als Priester war Otto Neururer eine öffentliche Person. Er hat sich mit seinem Leben zu Jesus bekannt, bis zuletzt im KZ.

II. Dankbarkeit schaut zurück, Achtsamkeit schaut ins Jetzt.
Otto Neururer war sehr achtsam – er hat gemerkt, was sich in der Welt und hier in Tirol abspielt. Schon sehr früh, um 1932, erkennt er die Gefahr des Nationalsozialismus. Otto Neururer sagt: „Es ist Pflicht des Christen, alle Menschen zu lieben. Und zu allen Menschen gehören auch die Juden.“ Otto Neururer hat das NS-Regime durchschaut. In allen Dörfern in Tirol gab es Denunzianten. Man konnte nicht mehr offen sprechen. Es gab keinen Rechtsstaat mehr. Es gab offene Gewalt gegen die Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde in Innsbruck. Es waren die schlimmsten sieben Jahre in der Geschichte Tirols. Das Böse war real – und das Böse ist auch heute noch real. Bis heute gibt es Leute, die die Nazi-Ideologie gut finden: online, in Publikationen oder in Gesprächen. Eng damit verbunden ist eine Abwertung der Juden, der Menschen mit anderer Hautfarbe oder Religion, der Flüchtlinge – und auch der Kirche. Äußerungen, die auch nur in die Nähe der NS-Ideologie kommen, verdienen unsere Verachtung. Wir müssen besonders bei öffentlichen Amtsträgern aufpassen, welche Worte sie verwenden. Der braunen Pest muss man am Beginn entgegentreten. Achtsamkeit braucht es auch, wenn immer wieder gesagt wird: „Glaube ist Privatsache“. Nein, Glaube ist etwas Persönliches, aber privat ist er sicher nicht. Glaube ist öffentlich. In Tirol sind alle Orte rund um die Kirchen gebaut worden – und so ist es auch in Wien: die Stadt ist rund um den Stephansdom gebaut. Auch wenn nicht alle in unserem Land getauft sind: Wir wollen als Christen sichtbar sein. Wir tun das nicht für uns, sondern weil wir überzeugt sind, dass das gut ist für unsere plurale Gesellschaft. Ohne die Botschaft der Liebe, die Jesus verkündet hat, degradieren wir uns selbst zu reinen Konsumenten. Verlieren wir den Glauben an die Liebe, werden wir hier in Tirol alles verlieren, was uns wertvoll ist. Otto Neururer war ein guter Katechet für die Kinder. Er war Religionslehrer des späteren Bischofs Reinhold Stecher. Nur zu unser aller Erinnerung: Es waren die Nazis, die den Religionsunterricht abgeschafft und die Kreuze abgehängt haben. Und heute wird der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen wieder beeinsprucht. Hier braucht es Achtsamkeit der Eltern und die Stärkung der Religionslehrer/innen, denen wir alle viel verdanken. Noch ein Thema möchte ich ansprechen. Vor zwei Jahren habe ich die Gedenkstätte Hartheim bei Linz besucht. Dort hat man Behinderte, Alte und KZ-Häftlinge systematisch ermordet. Man nannte das „den guten Tod“ – Eu-thanatos, Euthanasie. Heute kommt dieses Thema wieder – von Menschen mit einem ausgeprägten Autonomie-Bewusstsein. Sie wollen alles selbst bestimmen, auch ihren Tod. Als katholische Kirche sagen wir klar: Wir möchten, dass Menschen an der Hand anderer Menschen sterben, aber nicht durch die Hand anderer Menschen. Auch hier in Tirol gibt es jedes halbe Jahr Journalisten und Politiker, die sich für Euthanasie und Hilfe beim Suizid einsetzen. Am Grab von Otto Neururer, hier in Götzens, möchte ich ihnen öffentlich widersprechen. Wir brauchen eine gute Pflege mit größtmöglicher Schmerzfreiheit bis zuletzt. Euthanasie brauchen wir in Österreich nicht mehr. Achtsam sein für das, was um uns herum passiert, jetzt passiert. Und wenn es notwendig ist: auch ein klares Wort von uns Christen. So können wir Otto Neururer ehren.

III. Und schließlich: das Vertrauen. Vertrauen schaut in die Zukunft. Man sagt manchmal schmunzelnd: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Ja, wir wissen nicht, was kommen wird. Trotzdem gehen wir mit Hoffnung und Vertrauen voran. Als Student war ich freiwilliger Sanitäter beim Roten Kreuz in Innsbruck. Wir sind zu einem Fahrrad-Unfall gerufen worden. Ein Kind hatte sich leicht verletzt – es war aber sehr aufgeregt. Im Rettungsauto habe ich ihm dann gesagt: „Alles wird gut werden.“ Das hat gewirkt, und das Kind hat sich beruhigt. Alles wird gut werden. Dieses Grundvertrauen bekommen wir von unseren Eltern und Geschwistern mit. Es ist eine Grundstimmung, die uns trägt. Wichtig scheint mir, dass wir auch öffentlich vertrauen. Wer sich für das Gemeinwohl einsetzt, verdient zuerst einmal unser Vertrauen: Menschen in der Politik, in der Kirche, in der Kunst, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in den Medien. Zuerst kommt das Vertrauen und das Gut-übereinander-Sprechen. Das gilt auch für die Familie und Verwandtschaft: immer wieder vertrauen und gut übereinander reden. Otto Neururer hat vertraut, dass Gott ihn führt, bis zuletzt im KZ. Ist sein Vertrauen berechtigt gewesen – oder hat er sich getäuscht? Das lange Leiden, der grausame Tod, und dann das Nichts? Das wäre der späte Sieg der Nazis: dass wir vergessen. Otto Neururer ist nicht vergessen. Sein Martyrium stärkt unseren Glauben. Die Liebe ist stärker als der Hass und der Tod. Darauf vertraue ich fest. Was wären die Alternativen? Dass ich nur an mich und meine Kraft glaube? Ich brauche niemand anderen? Was für ein Leben wäre das? Wir wollen festhalten daran, am Vertrauen in unsere Mitmenschen und am Vertrauen in Gott. Und wir vertrauen darauf, dass wir mit Otto Neururer einen guten Fürsprecher im Himmel haben.
Dankbarkeit – Achtsamkeit – Vertrauen.
Seliger Otto Neururer, bitte für uns!
Amen.
Christian Marte SJ – christian.marte@jesuiten.org